Gießener Allgemeine:

1800 Frauen aus ganz Deutschland beim Lesbenfrühlingstreffen in Gießen

»Lesbisch ja!« steht auf dem Tuch, das eine hoch gewachsene Frau stolz schwenkt, »Frauenabschiebeknast Neuss schließen« auf einem Transparent, und ein paar Dutzend »LesBenitas« in Regenbogen-Hemden trommeln Samba-Rhythmen. Ein bunter Zug von rund 400 Frauen wand sich am Samstagnachmittag durch die Innenstadt – angeführt von einem Traktor, der verkündete »Lesben Leben Überall«. Frauen, die Frauen lieben, gibt es auch in der »Provinz«: Das zu zeigen, war ein Hauptanliegen des dreitägigen Lesbenfrühlingstreffens unter dem Motto »Mittendrin und voll daneben« in Gießen am Pfingstwochenende. Rund 1800 Teilnehmerinnen aus ganz Deutschland diskutierten, feierten und beschäftigten sich mit verschiedensten Themen rund um das Philosophikum I. Viel Lob gab es für die Organisatorinnen, und auch das Wetter spielte mit.

 

Gießener Anzeiger:

Farbenprächtig: Die Lesben-Samba-Gruppe "Les Benitas" aus Bielefeld
machte eine Riesenstimmung auf der Demo.

Stadt Gießen 01.06.2004 02:20 Uhr

Bunte Vielfalt und politische Bekenntnisse

GIESSEN (soh). "Lesben Leben Überall" - und zwar nicht nur in
Metropolen, sondern auch in kleineren Städten und auf dem Land. Das
zeigten die rund 450 Frauen während der wohl größten Demonstration
homosexueller Frauen, die es bislang in Gießen gegeben hat. Die im
Rahmen des "Lesbenfrühlingstreffen" (LFT) laufende Kundgebung begann am
Samstag am Berliner Platz, zog in den Seltersweg und über die Südanlage.
Die lesbischen Frauen machten sich dabei in ihrer Vielfalt und Buntheit
sichtbar und hörbar. Der bunte Zug, kräftig unterstützt von der
Lesben-Samba-Gruppe "Les Benitas" aus Bielefeld, zeigte aber auch
politisch Flagge. So gingen die Rednerinnen auf der Kundgebung am
Hiroshima-Platz auf die noch immer bestehende Diskrimierung von Frauen
und Lesben in aller Welt ein. "Viele Frauen müssen fliehen vor Folter,
Diskriminierung, Isolation, Verstümmelung und Prostitution", sagte
Gundula Klaasen vom feministischen Netzwerk. Jede Asylbewerberin habe
ihre Gründe hier zu sein und "sie hat das Recht hier zu sein". Bea
Trampenau vom Verein "Lesbenfrühling" betonte die Bedeutung solcher
Treffen. Sie seien eine offene Plattform, um sich gegenseitig zu stärken
und zu vernetzen.
Lyrische Musik Die Demonstration durch die Stadt war aber nur ein Teil
des Treffens. Vielmehr stand das gesamte Pfingstwochenende ganz im
Zeichen des 30. "Lesbenfrühlingstreffen". Über 2000 Frauen trafen sich
vor- und nachmittags bei einem der über 120 verschiedenen Workshops, die
in der Ostschule und im Philosophikum I angeboten wurden oder trafen
sich auf dem Markt, der im Hof der Ostschule aufgebaut worden war, zum
Klönen und um das Zusammensein mit den Frauen zu genießen. Auch das
Abendprogramm, das am Samstag und am Sonntag angeboten wurde, war
abwechslungsreich. Auf drei Bühnen im Audimax, im JuKs und in der
Osthalle war für jeden Geschmack etwas dabei: von Kabarett über "Poetry
Slam" bis zu den verschiedensten musikalischen Darbietungen und Discos.
In der Osthalle konnten die Frauen beispielsweise den fast meditativen
und sehr melodischen Klängen von "Flex-a-ton" lauschen. Die beiden
Musikerinnen Uli Schimpf und Elke Saller beherrschen eine Vielzahl von
Blas- und Perkussionsinstrumenten und wussten ihr Publikum für sich zu
gewinnen. Die Frankfurter Band "Kick La Luna" brachte mitreißende
funkige Beats zu Gehör. Die kraftvolle und zugleich lyrische Musik der
vier Frauen brachte die volle Osthalle zum Kochen, alle tanzten, sangen
und klatschten begeistert mit.
Viel diskutiert wurde bei dem Gesprächsforum zu dem Thema "Die Vielfalt
der Lesben - Zur Zukunft der lesbischen Bewegungen" am Pfingstsonntag in
der Ostschule, das von Eva Deppe vom Hessischen Rundfunks moderiert
wurde. "Das LFT hat eine eigene Atmosphäre, es besteht ein Gefühl von
Solidarität, auch wenn die Frauen völlig unterschiedliche politische
Auffassungen haben", sagte die Politikberaterin Christina Schenk. Wenn
man sich als Lesbe bezeichne, sei dies in der Gesellschaft ein
Politikum, jedoch sei die Lesbenbewegung keine politische Bewegung, man
denke nur an die unterschiedlichen Meinungen zum Thema Eingetragene
Partnerschaft, sagte Schenk. Für die Publizistin Antje Schrupp war es
wichtig, "dass gerade die Anerkennung von Vielfalt und Individualität
jeder einzelnen Frau ein Zeichen von Freiheit ist".
Sozialwissenschaftlerin Lena Laps sagte dazu, "dass die Frauen natürlich
sehr unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse haben. Aber auf den
Treffen bemühe man sich ja auch den unterschiedlichen Bedürfnissen
gerecht zu werden". Das LFT solle für viele Frauen da sein, viele
kulturelle Angebote bieten und es solle mehr in die Gesellschaft hinein
strahlen.